Genau ein Jahr vor Inkrafttreten dieser Straßen- und Verkehrsordnung hatte Carl Benz sein Patent für das Automobil, damals ein Fahrzeug mit Gasmotorenantrieb, als Patent angemeldet. Aber an eine Verkehrslage in heutigem Maßstab war am Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht zu denken und doch lesen sich die insgesamt 33 Paragrafen aus dem Archiv des Musik- und Wintersportmuseums als ob die Straßen von Klingenthal damals vielgenutzte Verkehrswege waren. Und das könnte auch schon ohne die Automobile tatsächlich so gewesen sein: Die zu hunderttausenden produzierten Musikinstrumente mussten zum Bahnhof transportiert, Rohware für deren Produktion in alle Winkel des klingenden Tals verteilt und Dinge des täglichen Bedarfs für die Bevölkerung herangeschafft werden. Es waren hierfür sicher unzählige Pferdewagen unterwegs, doch die Verordnung nennt ein weiteres Transportmittel immer gleich im Anschluss: „Hundefuhrwerke“ waren wohl für die Warenbeförderung gleichermaßen bedeutsam. Die Paragraphen 25-27 regelten das Führen dieser Hundekarren ebenso, wie die Bereitstellung von genügend „Tränkwasser“ im Sommer und „Abdeckungen“ im Winter für die Tiere. Das Anlegen eines Maulkorbes war obligatorisch, Pflicht war auch das Anbringen einer „Vorrichtung zur Beleuchtung“ des Karrens. Zudem mussten Namen und Adresse der Eigentümer am Wagen sichtbar sein.
Paragraf 24 verbot wörtlich das „Ruscheln“ auf Straßen und Wegen. Bei Zuwiderhandlungen wurde eine Geldstrafe fällig, konnte diese nicht sofort beglichen werden, wurde der Schlitten von der gemeindlichen Ordnungsbehörde einbehalten. Im Sommer nutzten die Kinder die geraden Flächen der Straßen zum „Schnutzen“, einem Spiel mit Kugeln. Vor Wirtshäusern konnte es schon mal eng werden, denn an den Hauswänden waren Ringe zum Festbinden der Pferde angebracht, Futterkrippen und Parkplätze für Fuhrwerke verschmälerten die Straßenbreite. Freie Fahrt war ebenfalls unmöglich, wenn Ziegen- oder Gänsehirten ihre Herden durch den Ort trieben. Spuren, welche die Tiere auf den Straßen hinterließen, rückten die Straßenwärter mit Schaufeln zu Leibe.
Grundstücksbesitzer wurden auch damals schon in die Pflicht genommen. „Vor jedem Hause ist Sonnabends die Straße oder der Weg zu reinigen, (…) bei trockenem und staubigem Wetter ist zuvor mit Wasser zu sprengen“. Gesäubert werden musste immer bis zur Mitte der Straße, die gegenüberliegende Hälfte lag in der Pflicht des Eigentümers auf der anderen Seite.
Paragraph 8 und sein Verbot, „ alles Vieh, auch Federvieh“ ohne Beaufsichtigung auf der Straße frei herumlaufen zu lassen, scheint aus heutiger Sicht fast unwirklich, doch gibt es durchaus auch Fotodokumente, welche derartige Zustände auch im Ortszentrum Klingenthals beweisen. Gleich eingangs der Straßen- und Verkehrsordnung wird in Paragraph 4 das Verunreinigen von Straßen und Fußwegen mit Küchenabfällen, Unrath und Scherben untersagt.
… Die Straßen mussten ungehindert passierbar sein, denn schließlich herrschte reges Treiben, wenn man die in Paragraph 29 vermerkten Regeln zu den Verhaltensweisen im Straßenverkehr betrachtet: Überholmanövern musste der Langsamere auf „Zurufen“ stattgeben und sich dabei äußerst rechts halten. Der Entgegenkommende Verkehr war zu beachten. Und dann waren da noch die zahlreichen Fußgänger, welche mit einer Rückentrage dem sogenannten „Reff“ Waren auslieferten oder Rohmaterial für „eilige Platten“ mit sich nach Hause trugen.
Und gegen diejenigen, welche diese Bestimmungen nicht befolgten, konnte die örtliche Polizeibehörde, also die Gemeinde Klingenthal empfindliche Geldstrafen, aber auch bis zu 14 Tage Gefängnis verhängen! (XB)
Am Hotel „Zur Post“ tummelten sich nicht nur Ausflügler, offensichtlich gefiel auch dem ortskundigen Milchvieh die Atmosphäre. Die Straßen- und Verkehrsordnung verbot also nicht grundlos den Aufenthalt von Kühen auf öffentlichen Wegen.
Am Mohrenkopf in Sachsenberg teilten sich um 1925 Automobile und Fußgänger die Straße.